Nachklang: Gedenkveranstaltung 17. Juni Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt

Auch in Erfurt wurde der Opfer des 17.Juni an der Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt gedacht.

Dazu veröffentlichen wir die Rede der Künstlerin Gabriele Stötzer, die unseren Verein Freiheit e.V. mit anderen Mitgliedern bei der Gedenkveranstaltung vertrat.

Rede zum 17. Juni 2024 vor der Andreasstraße Erfurt von Gabriele Stötzer

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

wir stehen heute hier, um einen ungeraden Geburtstag zu feiern. Es ist der 71.Geburtstag eines Ereignisses, das sich signalgebend 1953 in der DDR vollzog. Es ist das gleiche Alter, was ich heute habe, 71, denn ich bin im Frühling dieses Jahres geboren. Und mit dieser Lebenszeit kann ich auf einige Aufs und Abs dieses Tages zurückblicken, an dem es der Bevölkerung um individuelle Freiheit und die Einheit Deutschlands ging. Nun haben wir das erreicht. Wir können wählen, reden reisen was und wohin wir wollen und Deutschland ist vereint. Aber nicht nur wir Menschen, die ganze Welt ist in Bewegung geraten und geht immer weiter. So ging es an dem 9. November 1989, als ich nachts auf dem Domplatz redete und erfuhr, das die Mauer gefallen war, nicht nur um die Einheit Deutschlands, sondern auch um die Einheit Europas. Ich sah das vor mir, in die dunkle Nacht hinein und wusste, das es ein schwieriger Weg würde, weil noch kein Licht dahin führte. Auch wenn die Menschen vor mir auf dem Domplatz dachten, jetzt würde es leichter werden und sie kämen schon klar mit Kapitalismus und Konsum und Demokratie und eigener Schöpferkraft.

Das wollten die BürgerInnen 1953 auch, aber man glaubte ihnen nicht und sie durchfochten diesen Tag allein, bis die Staatspolitiker ihren Großen Bruder, die Sowjetunion, um Hilfe riefen, die ihnen gewährt wurde. Das als Aufstand degradierte Volksbegehren wurde niedergeschlagen. So hätte es auch 1989 sein können, als es sehnsuchtsvoll dringend hieß: wir sind ein Volk. Nur diesmal ging es anders, denn der Große Bruder war selber im Wandlungsprozess und hatte mit sich zu tun und Gorbatschow sagte nein zum militärischen Eingriff. Es hätte aber zum Bürgerkrieg kommen können, in der DDR waren ja alle noch bewaffnet. Die Polizei, das Militär, die Grenztruppen, die Staatssicherheit. Darum war es ein wichtiger und selbst-ermächtigender Schritt, das wir hier in Erfurt die dunkelste Machtinstanz in der DDR angriffen und die Staatssicherheit hier in der Andreasstraße, in der Straße der Einheit und in allen Nebenstellen Erfurts umstellten und zum friedlichen Aufgeben brachten. Einem Signal, dem sich schnell die meisten Städte in der DDR anschlossen. Eine Episode war, dass drei Tage nach dem 4. Dezember drei Offiziere der Grenzgruppen in das Erfurter Bürgerbüro kamen und meldeten, dass sie sich uns anschließen würden und beschlossen hatten, nicht zu schießen.

Nicht schießen! Ist Inhalt der Kunst seit Käthe Kollwitz es als Künstlerin thematisierte. Nicht schießen! sagen alle Freiheitssymbole auf den Barrikaden der Illusionen, die bereit sind ihr Leben für Demokratie und Freiheit zu geben. Und nicht schießen! möchten wir auch heute an alle kriegstreibenden Völker um uns herum sagen, schreien oder flüstern, damit die Information in ihre Ohren dringt. Oder besser in ihre Herzen. Denn es sind blecherne Zeiten, die sich plötzlich vor uns auftun. Und es ist wie eine fast kindliche Wiedergeburt des Trotzes und des Gegen Alles Seins, die Menschen einer Generation, die sich damals angepasst verhielten, nun auftrumpfen lässt.  Und dabei ist es doch nur ein neuer Schritt in eine bunte Wahrheit und Erlebnisform, vor dem einige  plötzlich straucheln. Es ist doch bunt geworden in unseren Straßen und Moden. Es ist doch wirklich real geworden, dass die Frauen sich regen und reden und gegen übergriffige Gewohnheiten, Sprüche und diskriminierende Zustände für Körper und Geist wehren. Die Gegenwart und Gesellschaft mitgestalten ist eine innere Entscheidung. Für etwas sein. Auch wenn es Mühe kostet, denn die hervor gezogenen Probleme werden sich bei ihrem dröhnenden Niederschlagen in andere Probleme verwandeln und wieder erscheinen. Das gehört auch zu der Lebenszeit von 71 Jahren, zu sehen, wie das Gute stoppt und das Böse erwacht und Macht bekommt. Und darum ist es auch für mich sinnvoll, wieder an die Illusionen von 1953 oder das Gefühl von Freiheit 1989 zu denken. Das Gefühl, mit allen gebeugten Rücken und Köpfen zu brechen. Sich gegen die Unterjochung unter das Dogma eines Großen Bruders zu stellen und den nächsten Schritt in das Land der Offenheit und Gemeinschaftlichkeit zu gehen. Den Ich den Weg zur eigenen Seele und Gefühl nenne. Sich mit der eigenen Seele und der aller Menschen zu verbinden heißt, eine große Kraft freizulegen, die wir gebrauchen können, um die Welt zu verschönern und gerechter zu machen. Darum zögert nicht.